ALPSOMMER

Mit dem Ausdruck Alpsommer werden vielfältigste Vorstellungen und Bildwelten assoziiert. Wer ist nicht fasziniert von der ruralen, simplen Lebensart die dabei vor dem inneren Auge erscheint. Und es ist nicht verwunderlich, dass Alplandschaften bis heute faszinieren. Die Ausstrahlung die dieser Welt zugesprochen wird, lädt verlockend zum Verweilen ein und bezirzt mit idealisierter Bildkraft. Alpbetriebe stehen für ganze Lebensläufe und Lebenshüllen, die eng mit dem Schicksal der lokalen Bevölkerung verknüpft sind.

Im strapaziösen Jahresablauf der Bergbauern stellen die Sommermonate auf der Alp bestimmt die romantischste Umgebung dar. Über die Jahrhunderte allmählich als wirtschaftlich lukrativer Standort immer weniger wichtig werdend, hat sich hingegen die Transformation zum Sehnsuchtsort der „Unterländer“ komplementär dazu immer mehr ausgeprägt. Die Imaginationswelt rund um die Älpler und ihre Kühe ist geprägt von kollektiven Klischeevorstellungen. Geschichten oder Figuren wie diejenige von Johanna Spyris Alp-Öhi und Geissenpeter haben die kollektive Bildwelt entscheidend geprägt.

Doch wie sieht der Arbeitsalltag in der Realität aus? Auf einer Alp den Sommer zu verbringen, heisst auch heute noch von viel frischer Luft und saftigen Blumenwiesen umgeben zu sein, zahlreichen Kühen und dem Genuss sovieler Milchprodukte wie das Herz gerade begehrt frönen zu dürfen. Es heisst abgeschiedene Bergsommerabende, bedeutet unterwegs zu sein in früher und kühler Morgendämmerung, über Stock und Stein und Wurzeln. Einmal zum Bach und wieder zurück, hangauf und hangab, dass es eine wahre Freude ist. Frischluft mischt sich mit Heuduft und Stallduft, am Abend sind die Augen müde, aber tragen einen besonderen, sonnigen Glanz, gespiesen vom bunten Farbreigen der Umgebung und fröhlichen Wolkenformationen.

Auch die Alp Rischuna ist eine von schweiz-weit 2800 solcher Welten für sich, eines dieser kleinen in sich fast geschlossenen Universen hoch über dem Talboden. Kommt einem das Dorf Lunschania bei der Anfahrt mit dem Postauto schon winzig und abgeschieden vor, so vertieft sich dieses Gefühl mit dem steilen Anstieg zur Alp nur umso mehr. Besucher folgen keinem offiziellen Wanderweg sondern einem schmalen Pfad auf dem auch die Kuhschar beim Alpauf- und Alpabzug unterwegs ist. Nur Eingeweihten ist bekannt, dass sich oberhalb der steilen Passage ein sanftes Hochtal öffnet mit dem Piz Tomül im Hintergrund. Einmal auf der Höhe angekommen, kann man entweder dem Lauf des Bergbaches noch weiter nach hinten folgen, vorbei an der Geissenalp Grava zum verheissungsvoll plätschernden Wasserfall zuhinterst im Tal. Oder aber, man bahnt sich den Weg über Stock und Stein durch die Weide links den Hang hinauf und erkennt nebst regem Treiben in den Murmeltierbauten auch bald schon den Stall und das Wohnhaus der Alp Rischuna.

Besucher werden je nach Tageszeit und Wetter wahlweise vom Hirtenhund, den fünfzehn munteren Schweinen oder ab und an auch von der munteren Hühnerschar samt Hahn die einem um die Beine flattern empfangen. Egal zu welcher Tageszeit die Gästeschar ankommt geht es dann in erster Linie einmal darum sich auf die Suche nach den Sennen zu machen. Diese können sich wahlweise in der Sennerei, im Stall, in der Küche, im Bett beim wohlverdienten Mittagsschlaf oder auf der Weide befinden.

Nach erfolgreicher Suche darf man dann zunächst einmal die Beine hochlagern und einen feinen Kafi geniessen der in Windeseile wie hergezaubert vor einem steht. Selbstverständlich nach Wunsch mit frischer Milch, wie im Schlaraffenland. Jetzt ist es an der Zeit, die heissen Neuigkeiten und Grussbotschaften aus dem Tal und vom ganzen Rest der Welt vorzubringen. Eventuell versteckt sich im Rucksack ja sogar eine feine Überraschung in Form von frischen Früchten oder einer Tafel des Sennen Lieblingsschokolade, die von Herzen geschätzt und gleich gekostet wird.

Verwöhnt kommt man sich vor, unter dieser arbeitswütigen enthaltsamen Truppe, und nach der gemütlichen kleinen Ruhepause hat man trotz den Strapazen beim Aufstieg rasch wieder Lust seine Dienste anzubieten. Und dieses Gefühl lässt einem während des ganzen Aufenthalts nicht im Stich. Tatsächlich ist es schwierig bis unvereinbar, auf der Alp NICHT mitzuhelfen. Zu streng erscheinen die Tagesabläufe der Älpler, an allen Ecken und Enden offenbaren sich Möglichkeiten mit anzupacken. Und der Sog oder die Dringlichkeiten der arbeitswilligen Produktionsstätte zeigen sich direkt und sind unausweichlich mitreissend. Jedoch kommt hier denn auch bereits die erste Hürde, braucht es doch einiges an Vorkenntnissen, um sich gleich konkret bei der Milchgewinnung oder anschliessenden Käseproduktion aktiv einzubringen. Eine Wissenschaft für sich, die im besten Fall jahrelange Erfahrung bedingt um tatkräftig und sinnvoll anpacken zu können. Gerne gesehen sind dafür Einsätze beim Kuhtreiben am Abend oder am sehr frühen morgen, oder aber feine Küchenkreationen für die von der Tagesarbeit immer hungrigen Mäuler.

Nach dem Abwasch und dem Abendtee geht’s dann zufrieden ab ins Bett, die kalten Füsse wärmen sich nur zögerlich im Schlafsack, wohl auch in Anbetracht dessen, dass man im sommerlichen Unterland trotz der späten Stunde zeitgleich sicherlich leichter bekleidet unterwegs wäre. Belohnt werden diejenigen, die es mutig genug nicht versäumen, zumindest eine klare Nacht unter freiem Himmel und im ab und an unzeitigem Kuhglockengebimmel zu verbringen, Bevor einem vor Müdigkeit beide Augen zufallen, eröffnet sich ein wunderbarer Blick in den Sternenhimmel der einer Schatztruhe voller Juwelen gleichkommt.